Immer wieder sind Menschen erstaunt, dass auch hier in Donaueschingen Menschen verfolgt und misshandelt wurden und sich ihres Lebens nicht sicher waren. Alles was wir an Grausamkeiten aus der Zeit des Nationalsozialismus wissen, geschah auch hier, nicht nur in den großen Städten.
Die Donaueschinger Familien jüdischen Glaubens, deren Lebensmittelpunkt bis im November 1938 Donaueschingen war, erlitten hier die Reichspogromnacht und den Vormittag des 10. Novembers 1938.
Von diesem Tag an war in ihrem Leben nichts mehr so, wie es einmal war. Entrissen aus ihrem vorherigem Leben waren sie nun in Angst und Schrecken versetzt, mussten um ihr Leben und Gut fürchten und waren auf der Flucht.
Der sogenannte Schülermarsch in Donaueschingen.
Am Vormittag des 10. November 1938 wurden Schüler aus den verschiedenen Schulen von ihren Lehrern oder Direktoren aufgefordert, gemeinsam mit ihren Klassenlehrern zum Bahnhof zu gehen. Dort wurden sie von SA-Leuten in Zivil empfangen. Es wurde eine Rede gehalten, von der wohl die meisten Schüler nichts verstanden haben. Die Schüler mit ihren Lehrern wurden in vier Gruppen aufgeteilt. Von SA-Leuten angeführt gingen sie zu den Wohn- und Geschäftshäusern der jüdischen Familien. Die SA-Leute drangen in die jeweiligen Häuser ein, randalierten und misshandelten die Bewohner. Draußen vor den Häusern mussten die Schüler stehen bleiben und das schändliche Treiben mit ansehen.
Als „Volkszorn“ Donaueschinger Gewaltspuren zog
von Volkhard Huth 1988
Seinen Anfang nahm der Pogrom im Anschluss an ein Attentat in der deutschen Botschaft zu Paris. Am 7. November 1938 hatte der siebzehnjährige Herschel Grünspan, Angehöriger einer jüdischen Familie polnischer Staatsangehörigkeit, die aber seit 1911 in Deutschland ansässig war, den Gesandtschaftsrat vom Rath mit mehreren Schüssen niedergestreckt. Von Rath erlag seinen Verletzungen am 9. November, doch hatte schon tags zuvor der „Völkische Beobachter“, das Zentralorgan der NSDAP, den Vorfall gierig aufgegriffen und sich zu der düsteren Ankündigung veranlasst gesehen, die Schüsse von Paris würden „den Beginn einer neuen deutschen Haltung in der Judenfrage bedeuten“.
Der geistige Vater dieser Worte war zweifellos Reichspropagandaminister Goebbels, der dann am Abend des 9. November – nach einer kurzen Besprechung mit Hitler – den ersten Ausschreitungen, die schon mancherorts von lokalen NS-Grüßen betrieben worden war, die Befehlsgrundlage gab. Partei, SA und sonstige NS-Organisationen sollten demnach vor Ort „Vergeltungsaktionen“ an Juden und jüdischen Einrichtungen provozieren, selbst aber nicht als Urheber der Aktivitäten in Erscheinung treten. Mit Rücksicht auf außenpolitische und wirtschaftliche Interessen sollte der Eindruck vermieden werden, als handele es sich um parteigesteuerte, von Regierung und Polizei gedeckte Ausschreitungen. Vielmehr müssten die Vorgänge allenthalben als spontanen emotionaler Ausdruck des Volkszorns erscheinen, der die Entschlossenheit der „deutschen Volksgemeinschaft“ gegenüber den jüdischen „Schädlingen“ erkennen lasse. Es zeigte sich jedoch bald, dass die nachgeordneten Partei- und SA.-Dienststellen in Stadt und Land mit dieser befohlenen Kombination von Gewalttätigkeit und taktischen Geschick zumeist überfordert waren. An Ort und Stelle tobte sich vorwiegend nackte Brutalität aus, und fast immer wurde der wahre Charakter jener spontanen Demonstrationen des Volkes“ erkennbar.
So auch in Donaueschingen, wo ein von einem SA.-Standartenführer gesteuerter Mob vor die Häuser jüdischer Bürger zog. Die Randalierer drangen in mehrere Wohnungen ein und verwüsteten sie; der jüdische Geschäftsmann Weil soll nach Augenzeugenberichten misshandelt worden sein. Das „Schwarzwälder Tagblatt“, traditionelles NS-Kampfblatt und seit dem Verbot von „Donaueschinger Tagblatt“ und „Donaubote“ einzige Zeitung mit Donaueschinger Ausgabe, kommentierte die örtlichen Ereignisse am 11. November 1938 wie folgt: „Auch in unserer Stadt und in allen Orten unseres Kreisgebietes hat die jüdisch-bolschewistische Bluttat die größte Erregung ausgelöst. Am gestrigen Vormittag löste sich die Erregung in spontaner Protestkundgebungen. In Donaueschingen zog die erregte Volksmenge vor die Wohnungen der hier lebenden Juden. In lebhaften Zurufen und Sprechchören wurde die Entfernung der Juden aus unserer Stadt verlangt. Die Polizei nahm drei Juden von hier und einen von auswärts in Schutzhaft. Zu ernsteren Zwischenfällen ist es bei diesen Vergeltungsaktionen nicht gekommen. So hat auch hier das Judentum seinen Tribut für die ruchlose jüdische Hetze draußen in der Welt erhalten. Die Donaueschinger Bevölkerung erwartet, daß kein Jude innerhalb der Mauern unserer Stadt bleibt. Dem Ruf ‚Juden raus‘, der gestern früh in den Straßen unserer Stadt erklang, muss die Tat folgen.
Dem Ruf ist in Donaueschingen die Tat gefolgt: Von den 14 Juden, die 1933 am Ort gelebt hatten, gelang immerhin 12 die Auswanderung, zwei wurden mit einem Sammeltransport von 7500 Juden aus Baden, der Saarpfalz und Elsaß-Lothringen im Oktober 1940 ins französische Internierungslager Gurs deportiert. Henriette Lindner starb in einem französischen Krankenhaus, Dagobert Guggenheim schließlich sollte den Tod im Vernichtungslager Auschwitz finden. Sein Tod verweist auf den grauenhaften Höhepunkt des nationalsozialistischen Rassenwahns, die fabrikmäßige Vernichtung von mehreren Millionen Menschen in den Todeslagern im deutsch besetzten Polen („Generalgouvernement“): Von Dezember 1941 bis zum Einstellungsbefehl des Reichsführers-SS, Heinrich Himmler, am 97. November 1944 wurde in Chelmno, Belzec, Sobibor, Treblinka, Auschwitz-Birkenau und Majdanek die „Endlösung der Judenfrage“ exekutiert.
Auf dem Weg dorthin markierten die Ereignisse vom November 1938 eine wichtige Station, die über die erste Phase nationalsozialistischer Judenverfolgung, die politische und rechtliche Diskriminierung einer gesellschaftlichen Minderheit, erstmals die radikalste aller denkbaren antisemitischen Maßnahmen am Horizont aufscheinen ließ. Die Parole „Tod dem internationalen Judentum“, die überall im Reich erscholl, gewann konkrete Bedeutung: Etwa hundert jüdische Bürger wurden während der „Reichskristallnacht“ getötet, ohne dass auch nur ein Mörder sich seiner Tat hätte verantworten müssen; 30 000 Juden wurden in die Konzentrationslager Dachau, Buchenwald und Sachsenhausen verschleppt, wo viele bereits in den folgenden Monaten zu Tode kamen. Zur nationalsozialistischen „Erfolgsbilanz“ der Tage vom 8. bis 13. November 1938 zählten ferner hunderte von zerstörten Synagogen, etwa 8000 zerstörte jüdische Geschäfte und ein materieller Gesamtschaden in Höhe von mehreren hundert Millionen Reichsmark (nach parteiinterner Schätzung).
Eine bemerkenswerte Konsequenz aus den vorangegangenen antisemitischen Maßnahmen zog in ihrer Ausgabe vom 24. November 1938 die SS-Zeitung „Das schwarze Korps“ – übrigens jedem Donaueschinger in den Aushängekästen vor dem Rathaus neben dem antisemitischen Hetzblatt „Der Stürmer“ (unter der Aufschrift „Die Juden sind unser Unglück“) einsehbar. Die isolierten „Jüdischen Parasiten“, so heißt es, müssten jetzt „allesamt in die Kriminalität absinken“, damit man ihnen gleich Verbrechern den totalen Garaus machen könnte:“ Das Ergebnis wäre das tatsächliche und endgültige Ende des Judentums in Deutschland, seine restlose Vernichtung“. Auch in diesem Maßstab sind den Worten Taten gefolgt. Taten, deren Hintergründe und Verlauf der Historiker zu klären hat, deren Gewicht jedoch uns alle trifft.